Wo Generationen zusammenleben

Der Lageplan zeigt die räumliche Anordnung des viergeschossigen Mehrgenerationenhauses und der eingeschossigen Kita dahinter. Letztere bietet einen großen, bespielbaren Außenbereich. (Quelle: Architekten Bökamp)

Um das Soziale mit dem Ökologischen zu verbinden, hat eine kirchliche Hilfsorganisation in Ostwestfalen ein Mehrgenerationenhaus nebst Kindertagesstätte in Massivholzbauweise errichten lassen.

Im Nordosten von Nordrhein-Westfalen, im Landkreis Minden-Lübbecke, liegt die rund 50.000 Einwohner zählende Stadt Bad Oeynhausen. Hier wartet die Johanniter-Unfall-Hilfe gemäß den vielfältigen Anforderungen ihrer heutigen und zukünftigen Sozialarbeit mit zwei Neubauten auf. Damit trägt sie der zunehmend dynamischen Entwicklung des demografischen Wandels, der Integration von Flüchtlingen, der Sozialraumorientierung von betreuungsbedürftigen Jugendlichen und der Betreuung von Kleinkindern Rechnung. Um den komplexen Aufgaben gerecht werden zu können, setzten die Johanniter auf eine Ausführung in Brettsperrholzbauweise (BSP), in der ebenso die eingeschossige Kindertagesstätte wie auch das viergeschossige, barrierefreie Mehrgenerationenhaus errichtet wurden, in dem rund 50 Mitarbeiter beschäftigt sind. Letzteres beherbergt im Erdgeschoss unter anderem einen offenen Treffpunkt mit Cafeteria für Menschen aller Altersklassen und Nationalitäten inklusive Küche und Essbereich. Ferner betreiben die Johanniter im Parterre eine Tagespflege mit 18 Plätzen sowie eine Sozialstation mit Ruhe- und Therapieeinheiten. Die dazugehörigen Büros und Besprechungsräume sind im ersten Obergeschoss untergebracht, in dem sich auch ein multifunktionaler Saal mit 200 Plätzen befindet. Dieser vervollständigt das räumliche Nutzungskonzept und dient sowohl hauseigenen Angeboten und Seminaren als auch externen Veranstaltungen von Vereinen oder Privatpersonen, die den Saal frei buchen können. Dadurch erhofft man sich, die Gesellschaft in die Sozialeinrichtung einzubinden und die Integration ein Stück weit fördern zu können.

Kennzahlen
Grundstücksgröße: 2.300 m²
Bruttorauminhalt (BRI): 9.228 m³
Bruttogeschossfläche (BGF): 2.618 m²
Nutzfläche (NF): 2.030 m²
Jahres-Primärenergiebedarf: 26,36 kWh/m²
Transmissionswärmeverlust: 0,30 W/(m²K)
Energiestandard: KfW 55
Bauzeit: 09-2017 – 02-2019
Baukosten (KG 300 + 400) gesamt:
5,5 Mio. Euro (Kita + Mehrgenerationenhaus)

Die Nutzung ist sozial bunt gemischt

Die dritte und vierte Etage des Mehrgenerationenhauses sind an den Wittekindshof vermietet worden, der hier, neben Gemeinschafts- und Büroräumen, 15 behindertengerechte Einzel- und Doppelappartements zur Unterbringung von bis zu 23 Jugendlichen bereithält. Diese Diakonische Stiftung hat sich der Begleitung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung sowie psychischen Beeinträchtigungen verschrieben. Dazu zählen Angebote zur Berufsorientierung, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen und Ausbildungen, die bei Bedarf auch mit einem Wohnangebot kombiniert werden können.

(Quelle: Derix-Gruppe)

Die nahegelegene, eingeschossige Kindertagesstätte mit naturnahem Außengelände bietet 65 Plätze für Kinder zwischen zwei und sechs Jahren, die in drei Gruppen betreut werden. Sämtliche Gruppenräume, die weitestgehend mit sichtoffenen, geschliffenen Holzoberflächen aufwarten, verfügen über einen Nebenraum sowie in Teilen über eine eingezogene, zweite Spielebene mit Abenteuercharakter. Der Bau der als Spiel-, Lern- und Entdeckungsraum konzipierten Kita, die im hinteren Grundstücksbereich des Areals mit dem Namen ‚Oeynhausener Schweiz‘ platziert wurde, hat 1,8 Millionen Euro gekostet. Um den zeitlich definierten Rahmen einhalten sowie dem bauökologischen Anspruch gerecht werden zu können, wurden beide Gebäude in moderner Holzbauweise mit einem werkseitig hohen Vorfertigungsgrad ausgeführt. Dabei gelangten sowohl bei den tragenden Wänden als auch bei den Decken Massivholzelemente mit einem fünfschichtigen Kreuzlagenholz-Aufbau zum Einsatz.

Außenwandkonstruktion aus Doppelstegträger auf BSP-Elemente

Das Mehrgenerationenhaus weist einen L-förmigen Grundriss auf, der sich im rückwärtigen Bereich von Etage zu Etage verändert. Wo im Erdgeschoß Café und Aufenthaltsbereich beheimatet sind, befinden sich in den Obergeschossen abgestufte Terrassen, die das Gesamtgefüge auflockern. (Quelle: Derix-Gruppe)

Die Gründung des Mehrgenerationenhauses erfolgte oberhalb einer Schotterschicht mit 50 cm breiten Stahlbeton-Streifenfundamenten. Darauf wurde eine 20 cm dicke Stahlbeton-Sohlplatte gegossen und mit einer XPS-Perimeterdämmung von 140 mm gegen das Erdreich gedämmt. Den Erschließungskern mit Treppenhaus und Aufzug erstellte man aus Gründen der Statik und des Brandschutzes ebenfalls aus Stahlbeton. Er steift die Gesamtkonstruktion aus, leitet die Lasten des Holzbaus in die Fundamente und sichert mit seinen 25 cm dicken Stahlbetonwänden die Fluchtwege ab. Die Gebäudehülle besteht aus werkseitig vorproduzierten BSP-Wandelementen in den Maximalmaßen (L) 9,70 m  x (H) 0,17 m x (B) 3,48 m. Innenseitig abgeschlossen mit einer Vorsatzschale aus 15 mm dünnen Gipskartonplatten, folgen außenseitig 200 mm tiefe Doppelstegträger mit zwei verleimten Gurten aus Furniersperrholz und einem OSB-Steg. Anschließend hat man deren Hohlräume mit eingeblasener Steinwolle gedämmt. Diese Vorgehensweise bedingte sich durch den vergleichsweise geringen Holzanteil der relativ leichten, untereinander verleimten Doppelstegträger, die einen höheren Dämmanteil ermöglichten. Dadurch konnte das Ziel einer kompakten, gut isolierten und energiesparenden Gebäudehülle erreicht werden, die mit einem durchschnittlichen U-Wert von 0,18 W/(m²K) dem Passivhausstandard nahe gekommen ist.

Bautafel

  • Bauherr: Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., D-32547 Bad Oeynhausen (www.johanniter.de/minden-ravensberg)
  • Architektur, Entwurfsplanung, Projektentwicklung: Architekten Bökamp, D-32584 Löhne (www.architekten-boekamp.de)
  • Holzbau Tragwerksplanung, Vorfertigung: W. u. J. Derix GmbH & Co. + Poppensieker & Derix GmbH & Co. KG, D-41372 Niederkrüchten + D-49492 Westerkappeln  (www.derix.de)
  • Holzbau CAD Planung: Roland Wank, D-04109 Leipzig (www.3d-cad-wank.de)
  • Holzbau Montage: Westruper Holz- & Ingenieurbau Wehmeyer GmbH & Co.KG, D-32351 Stemwede-Westrup (www.whb-wehmeyer.de)
  • Brandschutzkonzept: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG, D-38100 Braunschweig (www.kd-brandschutz.de)
  • Wärmeschutznachweis: Esycon GmbH, D-19370 Parchim (www.esycon.de)

Abgestufte Terrassen in den Obergeschossen

Bei den beiden Neubauten setzte die Johanniter-Unfall-Hilfe auf eine Ausführung in Brettsperrholzbauweise, sowohl für die eingeschossige Kindertagesstätte wie auch für das viergeschossige, barrierefreie Mehrgenerationenhaus. (Quelle: Derix-Gruppe)

Auf die Stegträgerebene folgen 23 mm dicke, bituminierte Holzfaser-Wandbauplatten als Grundlage für die belüftete, geschlossene Fassadenbekleidung. Dieser diffusionsoffene Witterungsschutz benötigt keine zusätzliche Fassadenbahn und ist dauerhaft UV-beständig. Darauf schraubte man eine horizontale Konterlattung von 100 mm, die als Hinterlüftungsebene für die abschließende, vertikale Schalung aus vorvergrauten, 22 mm dicken Lärchenholzlamellen dient. Die Installationsebenen befinden sich wärmebrückensicher in Ausfräsungen der BSP-Elemente. Auch die tragenden Innenwände bestehen aus BSP-Elementen, während die nicht tragenden als leichte Ständerkonstruktion ausgeführt wurden, gedämmt mit Steinwollebahnen und beidseitig doppelt beplankt mit Gipskartonplatten. Die Verankerungen der Außen- und Innenwände auf der Stahlbeton-Bodenplatte erfolgte über Montageschwellen. Das Mehrgenerationenhaus weist einen L-förmigen Grundriss auf, der sich im rückwärtigen Bereich von Etage zu Etage verändert. Wo im Erdgeschoß Ca­fé und Aufenthaltsbereich beheimatet sind, befinden sich in den Obergeschossen abgestufte Terrassen, die das Gesamtgefüge auflockern. Dabei wird die großflächige Bekleidung mit witterungsbeständigem Lärchenholz, die dem Gebäude eine natürliche Identität verleiht, in ausgesuchten Teilbereichen von einer kraftvollen, roten Putzfassade kontrastiert, die den modernen Charakter des Ensembles unterstreicht. In diesen Zonen hat man auf die BSP-Elemente eine 160 mm Holzfaserplatte montiert, die neben der Dämmwirkung zugleich als Träger für den abschließenden Mineralputz von 20 mm fungiert.

Flexible Lastabtragung

Die Anschlüsse der BSP-Elemente an den Stahlbetonkern erfolgten mit aufgedübelten Stahlbauteilen, darunter Ankerbolzen und Klebeanker. Zusätzlich montierte man die Elemente über ausgefräste Schlitze, die dann mit Stabdübeln und Blechen am Kern befestigt wurden. Untereinander hat man die massivhölzernen Bauteile mit Vollgewindeschrauben zug- und druckfest verschraubt. Die Decken aus 240 mm dicken BSP-Elementen wurden statisch wirksam als Scheibe ausgeführt, wozu sie an den Stößen zur Unterstützung des Schubflusses mit aufgenagelten OSB-Streifen verbunden wurden. Diese BSP-Deckenscheiben leiten die Lasten des Holzbaus in die längeren BSP-Wände ab, von wo sie wiederum über die untere Deckenscheibe in die darunterliegenden Wände und von dort in die Stahlbeton-Gründung übertragen werden. Die BSP-Elemente wurden für die Aussteifung entsprechend dimensioniert. Dazu erklärt der verantwortliche Ingenieur der Derix-Gruppe, Timo Wedler: „Wir haben unsere X-LAM Platten je nach Notwendigkeit des Lastabtrags unterschiedlich angeordnet und dimensioniert: während die Geschosse 3 und 4 weitgehend gleichartig aufgebaut sind, wurde der geradlinige Lastabtrag aufgrund der geänderten Raumarchitektur in den Geschossen 1 und 2 unterbrochen.

Wo üblicherweise in der Deckenebene verstärkt Tragsysteme mit einem höheren Anteil Längslagen zum Einsatz kamen, wurden hier zum Beispiel auch im Bereich der Auskragungen entgegen der Haupttragrichtung Systeme mit regulären L-Aufbauten realisiert. Diese weisen einen hohen Querlagenanteil auf, den wir für eine maximal flexible Lastabtragung in beide Richtungen aktiviert haben.“

Die neue Landesbauordnung NRW ist natürlich berücksichtigt

Auf der Ebene zwischen Erd- und Obergeschoß ist ein umlaufender Brandschutzriegel eingebaut. Dazu wurden zwei KVH-Balken aus der Fassadenebene herausgezogen, der Zwischenraum der Balken mit Steinwolle gedämmt. Diese Konstruktion wurde am oberen Ende mit einem feuerverzinkten und pulverbeschichteten Stahlwinkel überzogen, der den eigentlichen Brandüberschlag verhindern soll. (Quelle: Architekten Bökamp)

Das 13,60 m hohe Mehrgenerationenhaus erfüllt bereits die seit 01. Januar 2019 geltende, neue Landesbauordnung (LBO) von NRW. Vorher durften in Nordrhein-Westfalen Holzbauten nur bis zu einer oberen Fußbodenhöhe von 7 m errichtet werden. Aufgrund der brennbaren Holzfassade wurde auf der Ebene zwischen Erd- und Obergeschoß ein den Gebäudekörper umlaufender Brandschutzriegel eingebaut. Er verhindert bei einem etwaigen Brand den Überschlag der Flammen von einer Etage zur nächsten. Dazu wurden zwei KVH-Balken, die horizontal auf die BSP-Elemente montiert wurden, aus der Fassadenebene herausgezogen. Den Zwischenraum der parallel montierten Balken dämmte man mit Steinwolle, deren Schmelzpunkt erst bei über 1000° Celsius liegt. Diese Flächen wurden mit einer schwarzen, bituminierten Holzfaserplatte bekleidet und wie gehabt von der hinterlüfteten Holzfassade abgeschlossen. Die Brandriegel-Konstruktion wurde am oberen Ende mit einem feuerverzinkten und pulverbeschichteten Stahlwinkel überzogen, der den eigentlichen Brandüberschlag verhindern soll. Die tragenden und aussteifende Außenwände wurden in F60 ausgeführt, die Holzdecken über dem EG sowie dem ersten und zweiten OG in F60-B. Bei der Wahl des Bodenbelags hat das ökologische Baukonzept eine konsequente Fortsetzung gefunden. Bis auf die gefliesten Nassbereiche stattete man sämtliche Räume oberhalb einer 3 cm dicken Trittschalldämmung und eines 6,5 cm dicken Estrichs mit einem natürlichen Linoleumboden in verschiedenen Farben aus. Der im Langdielenformat mit einem einfachen Klick-System schwimmend verlegte Bodenbelag von 0,5 cm ist strapazierfähig, pflegeleicht und vermittelt ein angenehm weiches Trittgefühl. Zudem wirkt er antistatisch, antibakteriell und eignet sich – wie in Bad Oeynhausen – auch für Fußbodenheizungen.

Heizzentrale im Mehrgenerationenhaus

Das abschließende Dach basiert auf einer Brettsperrholzdecke von 130 mm Stärke mit einer darauf geschweißten Elastomer-Bitumenbahn als Dampfsperre. Wie im Flachdachbereich gemeinhin üblich, wird die Gefälledämmung von 2 Prozent über eine EPS-Lage hergestellt, hier in der Stärke von 80 mm – 170 mm. Obenauf folgt ein Glasvlies in der Stärke von 120g/m² als Trenn- und Schutzlage, finalisiert von robusten Dachdichtungsbahnen aus Polyvinylchlorid (PVC), die einlagig verlegt und an den Nähten verschweißt wurden. Die energetische Versorgung der beiden Gebäude wird  über eine im Mehrgenerationenhaus untergebrachte Heizzentrale gesteuert. Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl von 3,3 stellt die Grundlast der Heizwärme bereit und sorgt für Warmwasser. Für winterliche Lastspitzen und zur Redundanz dient ein 65 kW Gas-Brennwertkessel. Die Verteilung der Heizenergie erfolgt mittels Fußbodenheizsysteme, die über einen integrierten, 620 Liter fassenden Pufferspeicher mit einer Vorlauftemperatur von rund 35 Grad Celsius angefahren werden. Beim Bau des Mehrgenerationenhauses und der Kindertagesstätte wurden rund 782 m³ massives Holz verarbeitet. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % besteht, von umgerechnet etwa 195 Tonnen, woraus eine CO₂-Speicherung von über 717 Tonnen resultiert. Die Stadt Bad Oeynhausen unterstützt das vorbildliche Johanniter-Carré mit einem jährlichen Zuschuss von 40.000 Euro.

Autor: Marc Wilhelm Lennartz – Unabhängiger Fachjournalist, Referent & Buchautor
Kontakt: www.mwl-sapere-aude.com
Bildquellen: Architekten Bökamp // Derix-Gruppe
Bauweise: Holzmassiv (BSP)

Quelle: Bauen mit Holz >>