Stationäre Pflegeheime – Worauf es bei künftigen Bauvorhaben ankommt

Dipl.-Ing. Gudrun Kaiser (Foto: privat)
Dipl.-Ing. Gudrun Kaiser, Architektin, WiA Wohnqualität im Alter, Aachen. (Foto: Frank Kind Photography)

Im Interview beantwortet Gudrun Kaiser, worauf es bei künftigen Bauvorhaben ankommt und wie flexibel auf neue Bedürfnisse reagiert werden kann.

Frau Kaiser, welche Trends sehen Sie bei der Entwicklung stationärer Pflegeheimbetreiber?
G. Kaiser: Die früher meist getrennten und konkurrierenden Trägerschaften ambulanter und stationärer Pflege stellen sich heute anders, breiter und sektorenübergreifender auf als früher. Stationäre Betreiber bieten über klassische Pflegeheime und Hausgemeinschaftsmodelle hinaus zunehmend auch Tagespflege, betreutes Wohnen oder häusliche Pflege an, währendn ambulante Dienstleister immer häufiger auch als Anbieter betreuter Wohngemeinschaften auftreten. Auch neue Kooperationen zwischen Pflege- und Wohnungswirtschaft im Quartier nehmen zu.

Welche ordnungs-, leistungs- und baurechtlichen Anforderungen hat ein Komplexangebot, verglichen mit rein stationären Pflegeeinrichtungen?
G. Kaiser: In Komplexeinrichtungen werden Kombinationen stationärer und ambulanter Wohn- und
Pflegekonzepte angeboten. Verschiedene Betreuungsformen befinden sich dabei meist benachbart an einem Standort oder innerhalb eines Gebäudekomplexes, können aber auch dezentral verortet werden. Für
die verschiedenen Projektbausteine gelten je nach ordnungsrechtlichem Status unterschiedliche Planungsanforderungen aus dem Bau- und dem Heimrecht. Je größer die strukturelle Abhängigkeit älterer Menschen von Pflegedienstleistern und Vermietern, umso umfassender werden der gesetzliche Schutz
der Personen und die baulichen Anforderungen an die Planung. Sie unterscheiden sich beispielsweise in Hinblick auf den Umfang von Brandschutz und Barrierefreiheit, und das leider nicht einheitlich in den jeweiligen Heimgesetzen und Landesbauordnungen der 16 Bundesländer. Die Zusammenhänge zwischen den daraus entstehenden Anforderungen müssen in jedem Komplexvorhaben wieder neu durchdrungen und entsprechende Planungsstandards für die einzelnen Projektbausteine festgelegt werden.

Immer wieder fällt der Begriff „Hybride Bauformen“. Was ist das und was sind die Vorteile?
G. Kaiser: Nach meinem Verständnis bezeichnet die Eigenschaft „hybrid“ beim Bauen für ältere Menschen die Möglichkeit, ambulante oder stationäre Betreuungsmodelle in derselben Bautypologie umzusetzen. Also nicht nur ein „Nebeneinander“ beider Segmente, wie in den meisten Komplexeinrichtungen, sondern eine flexible Nutzungsmöglichkeit desselben Gebäudes. Grundrisse von Wohngruppen können beispielsweise so geplant werden, dass sie professionell verantwortet entweder als ambulant betreute Wohngemeinschaft oder als stationäre Hausgemeinschaft für ältere Menschen im Rahmen des Heimgesetzes betrieben werden können. Alternativ ist ohne bauliche Veränderungen auch die Nutzung als selbstverantwortete Wohngemeinschaft oder sogar ganz losgelöst aus dem Kontext der Altenhilfe, beispielsweise als Studenten-WG, also für zivilrechtliche Wohnformen möglich.

Veranstaltungstipp:
Im Rahmen der 4. Fachtagung „bfb barrierefrei bauen“ spricht Gudrun Kaiser zum Thema Bauen & Wohnen für ältere Menschen Projekte und Erfahrungen aus Neubau und Bestand. Mehr Infos >>

Mit welchen Institutionen und Projektpartnern kann oder muss ich als Bauherr zusammenarbeiten?
G. Kaiser: Je komplexer und umfangreicher das Bauvorhaben, umso eher sind bereits vor Planungsbeginn Machbarkeitsstudien, Marktrecherchen oder Standortanalysen durch entsprechende Sachverständige empfehlenswert. Anschließend ist die sorgfältige Auswahl eines fachkompetenten Finanzierungspartners erforderlich. Die Refinanzierung der Investition durch das operative Geschäft des Betreibers im Rahmen der
Pflegegesetzgebung und eines entsprechenden Finanzierungskonzepts ist eine wesentliche Grundlage für die Kostenplanung des Projekts. Nach Vergabe des Planungsauftrags ist der Austausch zwischen Planungsbüro und Bauherrn für den Kontakt zu weiteren Projektpartnern entscheidend. Während die Bauherrenschaft frühzeitig ihre Vorstellungen mit Sozialamt bzw. Heimaufsicht im regionalen und heimrechtlichen Kontext abklären und kommunizieren sollte, koordinieren Architekten
alle an Planung und Bau beteiligten Fachingenieurleistungen wie Bodengutachten, Statik, technische Gebäudeausstattung, Brandschutz etc. sowie den Kontakt zu den beteiligten Behörden. Ergänzend zu den Architektenleistungen werden bei komplexen Vorhaben zunehmend Fachplaner für Innenraumgestaltung, Lichtplanung oder Barrierefreiheit eingebunden.

Quelle: Vincentz Network, Altenheim, Ausgabe 1/2019

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