„Das müsste Standard sein für alle Schulen!“ Diese Bemerkung fällt oft, wenn Besucher dieser Schule die pädagogisch durchdachte Architektur und die freundliche und anregende Farbgestaltung wahrnehmen. „So hätte ich mir meine Schule gewünscht“ – Sätze wie diesen hört man häufig bei Führungen durch das Gebäude. Solche Aussagen weisen darauf hin, dass das Schulhaus mit seinen Räumen, Fluren und Flächen ein wichtiger Faktor für das Lernen und die Inklusion ist.
Sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf
Die Mamre-Patmos-Schule in Bielefeld, Förderschule in Trägerschaft der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, entstand 2002 durch die Zusammenlegung von zwei bis dahin eigenständigen Schulen des gleichen Trägers. Die Schülerschaft dieser Schule ist von sehr großer Heterogenität gekennzeichnet. Alle Schülerinnen und Schüler haben sonderpädagogischen Unterstüzungsbedarf. Um die pädagogischen Belange dieser Schülerschaft besonders gut zu berücksichtigen und die Inklusion zu stärken, war ein neues Schulgebäude unter Einbeziehung eines bereits vorhandenen Schulbaus erforderlich.

Konzipiert wurde die Schule bereits in den 90er Jahren für gemischte Klassen – für die gemeinsame Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen, aber unterschiedlichsten Förderbedürfnissen und Lebensproblemen – mit schwersten Behinderungen, erheblichen körperlichen Problematiken, chronischen Erkrankungen, geistigen Behinderungen oder Autismus. Gleichzeitig sollten die Interessen der unterschiedlichen Altersgruppen Berücksichtigung finden: von gerade schulpflichtig gewordenen Kindern bis hin zu jungen Erwachsenen, die kurz vor der Schulentlassung stehen.
Binneninklusive Ganztagsschule
Diese Bedingungen stellten keine ganz leichten Planungsaufgaben. Die im Pädagogischen Bauausschuss zusammenarbeitenden Lehrkräfte und Architektinnen und Architekten von alberts.architekten, entwickelten gemeinsam die Vision einer „binneninkludierenden“ Ganztagsschule und entwarfen dafür ein konkretes Schulhaus. Alles sollte für alle zugänglich sein. Alle individuellen Bedarfe und Notwendigkeiten sollten erfüllt werden können, sodass nichts der Inklusion im Wege steht. Nach mehr als einem Jahrzehnt intensiver Nutzung des Schulgebäudes lässt sich feststellen, dass die entwickelte pädagogische Konzeption einer Schule für eine äußerst gemischte Schülerschaft in einem entsprechend gestalteten Schulhaus greift und die Umsetzung gelingt. Schulen, die umfassend inklusiv arbeiten wollen, werden sich an Standards wie diesen orientieren müssen:
Barrrierefreies Schulhaus
Unser Schulhaus ist mit allen seinen Räumen und Außenflächen barrierefrei. Die Flure und Freiflächen des Hauses sind rollstuhlgerecht, bieten Platz für das Sich-Begegnen von Schülern im Rollstuhl und gewähren gleichzeitig Bewegungs und Erfahrungsmöglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler. In den Klassenräumen können unterschiedliche Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen. Schüler mit schwersten Behinderungen können wie alle anderen auch in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden – die räumlichen Voraussetzungen für die Teilhabe aller sind gegeben. Es gibt ausreichend Möglichkeiten für gemeinsamen Unterricht, für Differenzierung und Individualisierung.
Kommunikation und Begegnung

Alle Klassen haben einen nutzbaren Außenbereich, in den Erdgeschossbereichen als Terrasse, in den oberen Etagen als Balkon. Jede Klasse verfügt neben dem Haupt-Klassenraum über einen Nebenraum, der mit einer Küchenzeile ausgestattet ist. Neben der Nutzung für Kleingruppen oder Einzelarbeit ist hier etwa Lerngelegenheit für life skills wie z. B. den Tisch decken und später säubern, kleinere Mahlzeiten zubereiten etc. Inhalte, die Schülerinnen und Schüler ohne eine geistige Behinderung im Alltag der Familie beiläufig lernen (sollten), die hier aber gezielt angeboten werden müssen. Kommunikation und Begegnung zwischen den Klassen ist möglich, an vielen Stellen im Haus gibt es dazu Gelegenheit, etwa auf Freiflächen zwischen den Klassenräumen oder den Stufenplätzen. Mit dem Forum der Aula, verfügt die Schule über einen zentralen Versammlungsraum für alle Schülerinnen und Schüler und alle Mitarbeitenden. Fachräume mit entsprechender Ausstattung ermöglichen vertiefende Unterrichtsangebote in Fächern und Lernbereichen wie Musik, Rhythmik, Hauswirtschaft, Sport, Werken, kreatives Gestalten.
Freundlich gestaltete Pflegeräume mit einer Einrichtung, die die notwendigen technischen Voraussetzungen vorhält, gleichzeitig aber auch die Intimität der zu Pflegenden respektiert, sind eine grundlegende Voraussetzung für die Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit entsprechendem Hilfebedarf. Außerdem erleichtern sie auch den pflegenden Lehrkräften und Mitarbeitenden diesen Bereich ihrer Arbeit.
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Das Gebäude wirkt

Eine wichtige Beobachtung: Das Gebäude wirkt. WEs gibt nur wenige mutwillige Beschädigungen oder Schmierereien. Vermutlich, da die Schülerinnen und Schüler die bauliche Qualität und die ihnen durch den Schulbau gebotenen Möglichkeiten als Wertschätzung ihres Rechts auf schulische Bildung wahrnehmen. Deshalb gehen sie respektvoll mit ihrem Schulhaus um. Ohne diese realisierten baulichen Voraussetzungen sähe der pädagogische Alltag vermutlich deutlich anders aus. Die „Binneninklusion“, der Unterricht und das Miteinander-Leben in den gemischten Klassen gelänge wahrscheinlich wesentlich schlechter. Lehrkräfte und Eltern wissen die Qualität dieses Gebäudes zu schätzen, und vor allem natürlich die Schülerinnen und Schüler.
„Das müsste Standard sein für alle Schulen“ – diese Äußerung vieler Besucher der Mamre-Patmos-Schule bleibt als Wunsch für alle Schulen mit heterogener Schülerschaft bestehen.
Autor: Frank Thies, Förderschuldirektor i.E.
Quelle: alberts.architekten BDA | Soziale Architektur
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