Paragraphen-Symbol und Titel Urteil zum barrierefreien Bauen
Quelle: RM Rudolf Müller Medien GmbH & Co. KG

Urteile 2025-03-09T23:00:00Z Urteil #20 - Senioren-Tagespflege im Gewerbegebiet?

Darf ein Einzelhandelsgebäude in einem Gewerbegebiet als Senioren-Tagespflege genutzt werden?

Im vorliegenden Streitfall geht es um eine geplante Nutzungsänderung in einem Gewerbepark. Eine ehemaliges Einzelhandelsgebäude sollte zukünftig als Senioren-Tagespflege genutzt werden. Laut Bebauungsplan liegt das Vorhaben in einem unbeschränkten Gewerbegebiet. In direkter Nachbarschaft befinden sich produzierendes und KFZ-bezogenes Gewerbe (Motorradtuning, Messebau, Ersatzteilhandel, Lackierer).
Neben dem nötigen Bauantrag zur Nutzungsänderung wurde daher auch ein Antrag auf Zulassung einer Ausnahme von der Gebietsfestsetzung nach § 8 Baunutzungsverordnung (BauNVO) gestellt. Beide Anträge wurden abgelehnt und der Fall landete schließlich vor Gericht - ohne Erfolg.

Nicht gebietsverträglich, aber warum?

Zwar können nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO Einrichtungen für soziale und gesundheitliche Zwecke ausnahmsweise zugelassen werden. Nach Nr. 1 sind auch Wohnungen für Aufsichts-/Bereitschaftspersonen oder Betriebsinhaber/-leiter ausnahmsweise erlaubt. Das Gericht sieht die beabsichtigte Nutzung als Senioren-Tagespflege jedoch als nicht gebietsverträglich und damit bauplanungsrechtlich unzulässig an.

Aus der Begründung

Nach allgeneiner Zweckbestimmung soll in Gewerbegebieten nicht gewohnt werden. Das Gericht stuft die Tagespflege – ebenso wie zuvor schon Seniorenpflegeheime – jedoch als wohnähnliche Nutzung mit entsprechender Schutzbedürftigkeit ein, insbesondere im Hinblick auf den Lärmschutz. Die Zulassung störempfindlicher, wohnähnlicher Nutzungen wäre kontraproduktiv und widerspricht der Grundidee eines unbeschränkten Gewerbegebietes mit entsprechenden Immissionen. „Bewältigungsbedürftige Immissionskonflikte“ wären die Folge. Anders als bei den zulässigen Betriebswohnungen besteht für die Wohnnutzung durch Senioren kein betrieblicher Bedarf.

“Die BauNVO konkretisiert mit ihrer Baugebietstypologie u.a. die an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu stellenden Anforderungen ... Von maßgeblicher Bedeutung für die Bestimmung des jeweiligen Gebietscharakters sind die Anforderungen des Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen Gebietsbedarfs. Der Verordnungsgeber will durch Zuordnungen von Nutzungen zu Baugebieten diese oft gegenläufigen Ziele zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebietes eingrenzend bestimmt. …
Das Erfordernis der Gebiet
sverträglichkeit bestimmt nicht nur die regelhafte Zulässigkeit, sondern erst recht den vom Verordnungsgeber vorgesehenen Ausnahmebereich. Zwischen der jeweiligen spezifischen Zweckbestimmung des Baugebietstypus und dem jeweils zugeordneten Ausnahmekatalog besteht ein gewollter funktionaler Zusammenhang. Das bedeutet: Die normierte allgemeine Zweckbestimmung ist auch für Auslegung und Anwendung der tatbestandlich normierten Ausnahmen bestimmend.“  

Hier können Sie das Urteil des OVG Niedersachsen im Volltext nachlesen: Urteil vom 07.08.2024, Az.: 1 LB 47/23

Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung - BauNVO)
§ 8 Gewerbegebiete
(1) Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.
(2) Zulässig sind
1. Gewerbebetriebe aller Art einschließlich Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus solarer Strahlungsenergie oder Windenergie, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe,
2. Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude,
3. Tankstellen,
4. Anlagen für sportliche Zwecke.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
1. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind,
2. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke,
3. Vergnügungsstätten.

Mehr zur Planung und Ausstattung von Tages- und Pflegeienrichtungen für ältere Menschem im „Atlas barrierefrei bauen“

zuletzt editiert am 21. Februar 2025