Eine Hand stoppt die Kettenreaktion von aufgestellten bunten Dominosteinen, indem sie sich schützend zwischen die fallenden und stehenden Steine positioniert.
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Statistiken 2024-06-12T18:35:00Z Katastrophenmanagement und Inklusion von Menschen mit Behinderungen - Eine Bestandsaufnahme

Gravierende Defizite: Menschen mit Behinderungen werden im deutschen Katastrophenmanagement kaum berücksichtigt. Die Studie verdeutlicht dringenden Handlungsbedarf, um eine sichere, inklusive Krisenvorsorge und -bewältigung zu gewährleisten.

Von Oktober 2023 bis Februar 2024 führte das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen im Auftrag von Aktion Deutschland Hilft e.V. eine umfassende Studie durch. Die tragische Todesfälle beim Ahrhochwasser 2021 - etwa in einer Wohneinrichtung der Lebenshilfe - waren ein wichtiger, aber nicht allein entscheidender Auslöser für diese Bestandsaufnahme. Ziel der Studie KIM (Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen) war es, „erstmals systematisch die Situation von Menschen mit Behinderungen in Katastrophen und ihrer Berücksichtigung im Katastrophenmanagement in Deutschland zu beschreiben“. Ergänzend sollten „Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen“ identifiziert werden.

Der Abschlussbericht zeigt, Menschen mit Behinderungen im deutschen Katastrophenmanagement weder systematisch mitgedacht noch angemessen inkludiert sind. Es mangelt nicht nur an konkreten Einsatzplänen und -konzepten, sondern auch an Strategien zur Erstellung neuer oder Anpassung bestehender Konzepte. Die Studie zeigt konkrete Handlungsfelder auf und liefert Empfehlungen für einen inklusiven Bevölkerungsschutz.

Herausforderungen und Ursachen

Eine häufig genannte Ursache für dieses Defizit ist die Komplexität der Zuständigkeiten im Katastrophenmanagement. Kooperationen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene sind bisher selten. Hinzu kommen unzureichende Einsatzkonzepte und fehlende Ausstattungen im Katastrophenmanagement.

In der Katastrophenprävention erschweren Alltagsbarrieren, wie infrastrukturelle Hindernisse, fehlender barrierefreier Wohnraum, unzugänglicher Nahverkehr und fehlende Informationen in Leichter Sprache oder Deutscher Gebärdensprache (DGS), für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich eine angemessene Auseinandersetzung mit vorhandenen Risiken. Obwohl sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat, weisen Katastrophenwarn-Apps wie NINA oder KatWarn noch immer Barrieren auf. Warntexte sind oft nicht in Leichter Sprache verfasst, und der Empfang und das Verstehen von Warnungen setzen bestimmte Voraussetzungen voraus.
Unter Katastrohenprävention werden alle Maßnahmen verstanden, die darauf abzielen, Extremereignisse zu verhindern oder im Falle ihres Eintretens ein Umschlagen in Katastrophen zu verhindern.

Auch in der Katastrophenvorsorge mangelt es an barrierefreien und niedrigschwelligen Informationen, die sich auf die Lebenssituation von eigenständig lebenden Menschen mit Behinderungen beziehen. Der Erwerben von Fähigkeiten und Schaffen von Kapazitäten, wie z.B. Notvorräte, wird oft nicht ausreichend unterstützt.

Unter Katastrophenbewältigung werden Maßnahmen zum Umgang mit den Folgen von Extremereignissen und Katastrophen verstanden. Typische Defizite sind hier die fehlende  Bereitstellung von barrierefreien Informationen sowie Hindernisse bei Evakuierungen im Notfall. Neben Personalmangel in der Pflege, bei Assistenzen oder im Ehrenamt der „Blaulichtorganisationen“ wie Feuerwehren oder Rettungsdiensten kann auch die Infrastruktur im Katastrophenmanagement die Evakuierung erschweren, z. B. durch fehlende barrierefreie Transportfahrzeuge. Hinzu kommen Unsicherheiten von Einsatzkräften zur Hilfeleistung für Menschen mit Behinderungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Beeinträchtigungsformen. Während die Zugänglichkeit für Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen zunehmend thematisiert wird, bekommen andere Bedarfe, wie z.B. intellektuellen Beeinträchtigungen weniger Aufmerksamkeit.

Fazit: Dringender Handlungsbedarf für inklusives Katastrophenmanagement

Die Studie bestätigt die Aussage der Vereinten Nationen, dass es in Deutschland an strategischen Überlegungen und Maßnahmen fehlt, um Menschen mit Behinderungen gemäß Artikel 11 der UN-Behindertenrechtskonvetion (BRK) angemessen zu inkludieren. Trotz einiger vielversprechender Initiativen und Ansätze variiert deren Erfolg stark je nach Wohnort der betroffenen Personen.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, systematische und inklusive Strategien im deutschen Katastrophenmanagement zu entwickeln und umzusetzen.

Hier geht's zum Volltext der Studie: Abschlussbericht KIM (aktion-deutschland-hilft.de)

zuletzt editiert am 12. Juni 2024