Barrierefreier Zugang bei Umnutzung: Sind 20 % Mehrkosten für den Einbau eines Plattformaufzuges unverhältnismäßig? Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat am 16. Dezember 2010 klar gestellt: „öffentlich zugänglich“ im Sinne der Bauordnung bedeutet, dass die Anlage grundsätzlich der „Allgemeinheit“ zugänglich sein muss. Auch wenn nur ein Teil der Allgemeinheit auf die Benutzung angewiesen oder an ihrer Benutzung interessiert ist, muss ein solches Gebäude demnach barrierefrei zugänglich sein. Im Sinne einer Faustformel sind Zusatzinvestitionen für die Barrierefreiheit bis zu 20 % Mehrkosten zumutbar.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Tagespflegeeinrichtung für Senioren, die im Erdgeschoss eines bestehenden Mehrfamilienhauses eingerichtet werden soll. Die Einrichtung ist über sechs Treppenstufen zu erreichen. Die Baugenehmigung wurde mit der Auflage erteilt, den Zugang zum Haus barrierefrei so herzustellen und instand zu halten, dass das Haus ohne fremde Hilfe erreicht und zweckmäßig genutzt werden kann.
Die Klägerin argumentiert, dass der Aufwand für Material und Kosten eines barrierefreien Zugangs in keinem Verhältnis zu seiner gelegentlichen Nutzung stünden. Zudem würden in der Einrichtung nur Personen betreut, deren körperliche Fitness erhalten geblieben sei. Für Einzelfälle könne eine mobile Treppensteighilfe eingesetzt werden.
Nutzungszweck und Benutzerkreis sind entscheidend
Das Gericht stellt jedoch klar, dass der Nutzungszweck der Einrichtung darauf angelegt sei, dass eine nicht bestimmbare Gruppe von Menschen die Anlage nutzt. Zwar genüge es nicht, dass ein Gebäude faktisch öffentlich zugänglich sei. Die vorliegende Tagespflegeeinrichtung sei aber eben auch der Nutzung durch Besucher und Angehörige der dort betreuten Senioren, und damit der Allgemeinheit, gewidmet. Wenn jeder Bauherr sich durch selbst gewählte Einschränkungen des Besucherkreises von vornherein den Anforderungen des barrierefreien Bauens entziehen könne, liefen die Vorschriften ins Leere.
Faustformel 20 %
Darüber hinaus sieht das Gericht die Mehrkosten nicht als unverhältnismäßig an. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit komme es bei Nutzungsänderungen auf das Verhältnis der Mehrkosten, die für den barrierefreien Zugang anfallen, zu den Gesamtinvestitionskosten an. Das Gericht geht dabei im Sinne einer Faustformel von einer 20 %-Grenze aus. Die Mehrkosten von 3.500 bis 15.000 € für den Einbau eines Plattformliftes seien im im Hinblick auf die Gesamtkosten von 60.000 € nicht unverhältnismäßig. Und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung seien Angebote verschiedener Anbieter einzuholen und ggf. auch gebrauchte Lifte zu berücksichtigen.
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Hier können Sie die Enscheidung im Detail nachlesen:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.12.2010 – 2 L 246/09