Urteil #16 – Denkmalschutz vs. Barrierefreiheit

Ist der Einbau eines Aufzugs im Treppenauge eines denkmalgeschützen Gebäudes zuIässig? Es kommt darauf an …
Im konkreten Fall ging es um ein denkmalgeschütztes Wohngebäude aus der Jahrhundertwende mit einer „vergleichsweise großzügigen Treppenanlage“ und „vollständig überlieferter Innenraumarchitektur“. Zunächst war ein rückwärtiger Aufzugsanbau im Gespräch. Dann stritt man um den Einbau eines Plattformlifts im vorhandenen Treppenraum. Schließlich diskutierte man einen Kurventreppenlift. Wie das Ganze ausgegangen ist, erfahren Sie hier:

Die Eigentümerin des aus neun Wohneinheiten bestehenden, denkmalgeschützten Eckhauses in Stuttgart plante seit längerem den Einbau eines Aufzugs, um die Erschließung zu verbessern. Nachdem ein rückwärtiger Aufzugsanbau wegen denkmalschutzrechtlicher Bedenken verworfen worden war, prüfte man einen Einbau innerhalb des Gebäudes, was allerdings mit erheblichem Umbauaufwand im Bereich der Wohnungen verbunden gewesen wäre. Daher beantragte Eigentümerin eine Baugenehmigung für den Einbau eines sogenannten „Plattformlifts“ mit eigenständigem selbstragendem Gerüst im vorhandenen Treppenauge des Gebäudes. Dies erfordere zwar die Herausnahme von Geländerbestandteilen; diese würden aber eingelagert.

Reversibler Plattformlift genehmigungsfähig?

Die Baurechtsbehörde versagte die Baugenehmigung, da – nach Abstimmung mit der unteren Denkmalschutzbehörde bzw. des Landesamtes für Denkmalpflege – in die historische Substanz des Denkmals eingegriffen und dessen Erscheinungsbild beeinträchtigt werde. Statt dessen wurde als „barrierearme“ Lösung der Einbau eines Treppenliftes vorgeschlagen. Vollständige Barrierefreiheit sei auf Grund der vorhandenen drei Treppenstufen am Hauseingang ohnehin nicht erreichbar.

Dagegen wehrte sich die Eigentümerin, erhob Widerspruch und klagte schließlich.  Zur Begründung machte sie geltend,

  • dass der erforderliche Eingriff nicht richtig eingeordnet worden sei. Beim gewählten Plattformlift mit selbsttragendem Schacht komme es lediglich zu einem reversiblen Eingriff und nicht zu einer Zerstörung des Gesamteindrucks.
  • Die Ermessensentscheidung sei fehlerhaft und es läge zudem eine Ungleichbehandlung vor, da das Landesamt selbst in seinem eigenen Dienstgebäude auch einen Aufzug im Treppenauge habe.
  • Außerdem können sehr wohl ein (vollständige) Barrierefreiheit erreicht werden, da es zwar Treppenstufen vor dem eigentlichen Hauseingang gebe, die Eigentümerin der Erdgeschosswohnung jedoch über einen ebenerdigen Eingang verfüge, der bei Bedarf auch von anderen genutzt werden könne.

Keine Genehmigung für Plattformlift im Treppenauge

Am Ende half das alles nicht. Die Genehmigung wurde nicht erteilt und die Klage abgewiesen:

  • „Mit dem Aufzug im Treppenauge würde in die außergewöhnlich vollständige Innenraumarchitektur und die Struktur des Treppenhauses eingegriffen. Trotz seiner angestrebten Leichtigkeit würde der Aufzug das bauzeitliche Erscheinungsbild erheblich stören.“ Denkmalschutzrechtlich werde die „möglichst umfassende und ungestörte Erhaltung“ des bauzeitlichen Erscheinungsbildes angestrebt. Erfahrungsgemäß würden solche Aufzüge auch nicht mehr zurückgebaut.
  • Es sei auch kein Fehler in der Ermessensentscheidung erkennbar. Der Einbau des Aufzugs sei weder „rechtlich zwingend vorgeschrieben noch unbedingt erforderlich, um das Gebäude weiterhin wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können. Selbst wenn ein Eigentümer auf Grund Alters oder Erkrankung zum Auszug gezwungen wäre, wäre seine Wohnung wegen ihrer exponierten Lage in einer Stadt, in der die Höhe der Mieten Dauerthema ist, wirtschaftlich nach wie vor sinnvoll nutzbar.“
    Und: Das Dienstgebäude des Landesamtes sei ein öffentlich zugängliches Gebäude und damit nicht vergleichbar.
  • Der geplante Aufzug führe zwar zu einer erheblichen Komfort- und damit auch Wertsteigerung des Gebäudes, aber eben nicht zu einer Barrierefreiheit. Die Wohnungen in den beiden oberen Geschossen könnten über den Aufzug nicht erreicht werden. Zudem sein dessen Kabine für einen Standardrollstuhl nach DIN 18040-2 zu klein. Hinzu komme, dass der Aufzug aufgrund der vorhandenen Stufen am Eingang nicht barrierefrei erreichbar sein, und man damit auf die Hilfe anderer angewiesen sei.

Fazit: Im Sinne der Barrierefreiheit kein zufriedenstellender Ausgang.

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Hier können Sie das Urteil im Volltext nachlesen >>  VG Stuttgart, Urteil vom 07.12.2021 – 2 K 5541/20 – openJur

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