Urteil #17 – (Un)zulässige Wertsteigerung durch vermeintlich barrierefreien Aufzug?

Barrierefreiheit vs. Milieuschutz: Ist ein Aufzugsanbau eine unzulässige Wertsteigerung? Oder handelt es sich um eine ausnahmsweise zulässige Modernisierung zur Barrierereduzierung?

Der Eigentümer eines fünfgeschossigen Mehrfamilienhauses (Gebäudeklasse 5) plant den Anbau eines Außenaufzuges sowie einer Außentreppe. Die Wohnungen der ersten drei Geschosse sind vermietet. Der Spitzboden soll ausgebaut werden und der Eigentümer möchte diese Wohnung dann selbst bewohnen. Das Besondere daran?

Das Bestandgebäude liegt im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung (Milieuschutzgebiet) nach § 172 BauGB. Solche Gebiete werden z. B. eingerichtet, um die angestammte Wohnbevölkerung vor Verdrängung durch zahlungskräftigere Mieter oder Eigentümer zu schützen. Entsprechend bestehen besondere strenge Regeln an die Genehmigungsfähigkeit bei Umbau oder Änderung baulicher Anlagen.

Andererseits sollen vorhandene Substandards in Milieuschutzgebieten nicht zementiert werden, so dass Modernisierungen zur „Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustands … unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen“ ausnahmsweise zulässig sind.

Genau hierüber gab es Streit. Ist der geplante Aufzugsanbau als unzulässige Wertsteigerung anzusehen? Oder handelt es sich um eine zulässige und damit genehmigungsfähige Maßnahme, die lediglich für zeitgemäße Ausstattungsstandards sorgt?

Aufzugsgröße entscheidend

Der Eigentümer argumentiert, dass durch den Aufzug altersgerechtes Wohnen ermöglicht werde. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten beantragt er aber gleichzeitig eine Abweichung von § 45 Abs. 5 Hessische Bauordnung, da der geplante Aufzug aufgrund der geringen Kabinengröße von nur 0,60 m x 0,70 m nicht barrierefrei sei und auch der Keller nicht angebunden werden könne.

Die Baubehörde lehnt den Antrag ab. Das Bauvorhaben sei nicht genehmigungsfähig, da der Aufzug aufgrund seiner Größe, nicht, wie für Gebäudeklasse 5 gesetzlich vorgesehen, zur Beförderung von Rollstühlen geeignet sei.

Dem widerspricht der Eigentümer. Die Baugenehmigung sei zu erteilen, da die geplante Baumaßnahme der Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungszustands diene. Das Ganze landet schließlich vor Gericht.

Aufzug als Negativ-Vorbild

Das VG Frankfurt sieht im geplanten Aufzugsanbau eine unzulässige, mietumlagefähige Wertsteigerung, die bei einer Neuvermietung mit entsprechender Mietanpassung geeignet ist, die ansässige Bevölkerung zu verdrängen: „Durch die Genehmigung … entstünde ein negatives Vorbild, welches dazu führen könnte, dass weitere gleichartige Bauvorhaben beantragt würden und genehmigt werden müssten. Eine solche einmal in Gang gesetzte Entwicklung würde dazu führen, dass das gesamte Gebiet aufgewertet und für zahlungskräftigere Mieter attraktiv gemacht würde. Die angestammte Bevölkerung könnte sich in absehbarer Zeit die zu erwartenden steigenden Mieten nicht mehr leisten und würde verdrängt.“

Argument Substandard zieht nicht

Zwar liegt aufgrund der fehlenden Aufzüge ein Substandard vor. Dieser kann jedoch durch den beantragten Aufzug nicht beseitigt werden, da dieser die Mindestvorgaben der Hessischen Bauordnung eben nicht erfüllt:

  • Die Aufzugskabine ist mit 0,60 * 0,70 m zu klein und damit nicht barrierefrei.
  • Es werden nicht alle Geschosse angebunden.
  • Der Aufzug ist nicht von der öffentlichen Verkehrsfläche aus zugänglich.

„Voraussetzung für einen Genehmigungsanspruch ist, dass die Modernisierungsmaßnahme einen bauordnungsrechtlichen Substandard auch tatsächlich beseitigt, d. h. einen Zustand herstellt, der den bauordnungsrechtlichen Vorgaben voll entspricht. Nur soweit ein Vorhaben die Erfüllung aller aktuellen bauordnungsrechtlichen Standards zu gewährleisten vermag, kann der nachteilige Effekt, der durch die Erhaltungssatzung regelmäßig vermieden werden soll, nämlich eine potentielle Verdrängung der angestammten Bevölkerung, ausnahmsweise gerechtfertigt werden.“,
so das VG Frankfurt in seiner Begründung.

Die Genehmigung wurde nicht erteilt und die Klage abgewiesen. Hier können Sie das Urteil im Volltext nachlesen: VG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2020 – 8 K 507/20.F – openJur

Auch die Berufung vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof scheiterte:
Hessischer VGH, Beschluss vom 25.10.2022 – 3 A 247/21.Z – openJur

Fazit: „Echte“ Barrierefreiheit erhöht die Genehmigungschancen beim Abwägen gegenläufiger Belange

Der geplante „Mini-Aufzug“ hätte zu einer Steigerung des Komforts und damit sicher auch des Wertes des Mehrfamilienhauses geführt. Aufgrund der Aufzugsgröße allerdings nicht zu mehr Barrierefreiheit im bauordnungsrechtlichen Sinn. Für bessere Chancen empfiehlt es sich daher, die Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit möglichst umfassend umzusetzen. Ähnlich war es auch beim Urteil #16 – Denkmalschutz vs. Barrierefreiheit »

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