Barrierefreie Treppen + DIN 18040 | Gleicher Standard in allen Bundesländern?

Die DIN 18040 (Teil 1 und 2) ist über die Technischen Baubestimmungen (VV TB) mittlerweile in allen Bundesländern bauaufsichtlich eingeführt. Wer aber glaubt, dass dadurch ein deutschlandweit einheitlicher Standard zur baulichen Barrierefreiheit besteht, der irrt. Denn die Bundesländer haben im Zuge ihrer bauaufsichtlichen Einführung jeweils länderspezifische Anpassungen vorgenommen, welche teils große Unterschiede in der barrierefreien Gestaltung zur Folge haben. Besonders deutlich werden diese Unterschiede bei Treppen.

Barrierefreie Treppen nach DIN 18040-1 und MVV TB

Am Beispiel einer öffentlichen Bibliothek mit mehreren Treppen werden die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Regel deutlich (Abb.1). In der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen heißt es (MVV TB: 2019-01, Anlage A 4.2/2 zur DIN 18040-1, Punkt 2):
„Abschnitt 4.3.6 muss nur auf notwendige Treppen angewendet werden.“

Abb. 1: Beispielgrundriss einer Bibliothek (Quelle: Nadine Metlitzky, Factus 2 Institut)

Die Musterliste schränkt die Anwendung der Anforderungen an barrierefreie Treppen damit ein auf „notwendige  Treppen“ (nach § 33 ff. MBO). Dies hat zur Konsequenz, dass ausschließlich diese Treppen mit den barrierefreien Merkmalen nach Abs. 4.3.6 Treppen der DIN 18040-1 auszuführen sind, also beispielsweise mit beidseitigen Handläufen, Stufenmarkierungen, entsprechender geometrischer Ausbildung des Treppenlaufs usw. Im Beispiel (Abb. 2) sind die notwendigen Treppen grün gekennzeichnet. Für alle anderen Treppen im Gebäude gelten nach MVV TB dagegen keine Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit. Für die rot dargestellte Haupterschließungstreppe (Abb. 1) bestehen also keine bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit. Und dass, obwohl gerade diese Treppen sicher am häufigsten genutzt wird. Diese Anforderungen der MVV TB sind von der Mehrzahl der Bundesländer übernommen worden.

Abb. 2: Markierung der barrierefrei auszustattenden Treppen nach MVV TB (Quelle: Nadine Metlitzky, Factus 2 Institut)

Baden-Württemberg – Barrierefreie Treppen nach DIN 18040-1 und VwV TB

Baden-Württemberg hat in seiner Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VwV TB) eine anderslautende Regelung getroffen (VwV TB: 2017-12, Anlage A 4.2/2 zur DIN 18040-1, Punkt 2):
„Abs. 4.3.6 gilt nur für Treppen im Zuge der Haupterschließung oder ausnahmsweise einer anderen sinnfälligen Erschließung.“

In Bezug auf das Bibliotheksbeispiels stellt diese Anforderung genau das Gegenteil dar, da ausschließlich an die Haupterschließungstreppe (rot) barrierefreie Anforderungen gestellt werden (Abb. 3). Die Fluchttreppen in den Treppenräumen (grün, Abb.1) bleiben von den barrierefreien Anforderungen ausgenommen.

Abb. 3: Markierung der barrierefrei auszustattenden Treppe nach VwV TB Bden-Württemberg (Quelle: Nadine Metlitzky, Factus 2 Institut)

Thüringen – Barrierefreie Treppen nach DIN 18040-1 und ThürVV TB

Die ThürVV TB stellt an notwendige und andere Treppen der Haupterschließung ebenfalls barrierefreie Anforderungen. Dort heißt es (ThürVV TB: 30.07.2020, Anlage A 4.2/2 zur DIN 18040-1, Punkt 3):
„Abschnitt 4.3.6 muss nur auf notwendige Treppen und Haupterschließungstreppen angewendet werden.“

Dies würde in der Bibliothek also alle Treppen betreffen (Abb. 4).

Abb. 4: Markierung der barrierefrei auszustattenden Treppen nach ThürVV TB (Quelle: Nadine Metlitzky, Factus 2 Institut)

Berlin + Mecklenburg-Vorpommern – Barrierefreie Treppen nach DIN 18040-1 und VV TB Bln/MV

Eine Erweiterung dieser Anforderung stellt die Berliner Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen ). Diese hat für Treppen eine weitere, neue Regelung aufgenommen. Dort heißt es (VV TB Bln: 10.07.2020, Anlage A 4.2/2 zur DIN 18040-1, Punkt Punkt 3): „Treppen, die nach § 34 BauO nicht notwendig sind, dürfen in begründeten Einzelfällen abweichend von Abschnitt 4.3.6.2 ausgeführt werden.“

Diese Regelung gilt so auch in Mecklenburg-Vorpommern (VV TB MV: 05.02.2020) aufgenommen. Damit stellen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern derzeit die umfänglichsten Anforderungen an barrierefreie Treppen in Nichtwohngebäuden. Denn sie fordern eine barrierefreie Gestaltung grundsätzlich für alle Treppen und lassen Abweichungen nur im begründeten Ausnahmefall zu. Am gewählten Bibliotheksbeispiel wird deutlich, dass je nach Bundesland und dortiger Verwaltungsvorschrift (VV TB) grundlegende Unterschiede hinsichtlich der Treppengestaltung und -ausstattung bestehen. Ein Blick in die landesspezifische Verwaltungsvorschriften der Technischen Baubestimmungen lohnt sich durchaus und zeigt einmal mehr, dass sich die Anforderungen von Bundesland zu Bundesland deutlich unterscheiden und der Weg zur Vereinheitlichung der Barrierefreiheit noch lange nicht zu Ende ist.

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