Beim Bau einer Treppe sind sowohl die einschlägigen DIN-Normen als auch die allgemeinen Regeln der Technik zu beachten. Das allein reicht aber nicht zur Gewährleistung der Verkehrssicherheitspflicht und schützt auch nicht vor Haftungsansprüchen. Die Verantwortlichen müssen immer die Gesamtsituation im Einzelfall im Blick haben und im Zweifel gestalterische Aspekte hinten anstellen.
Treppenanlagen können höchst unterschiedlich gestaltet sein, eines haben sie immer gemeinsam: Sie gehören zu den gefährlichsten Stolperstellen im Alltag. Um dieses Risiko zu minimieren, haben sich in der Praxis bestimmte Richtwerte für das Verhältnis von Steigungsmaß und Auftrittsbreite bewährt, die eine sichere Nutzung der Treppe gewährleisten sollen. Auch die Vorgaben zur Barrierefreiheit, insbesondere zur Kennzeichnung von möglichen Stolperstellen, sind bei der Planung zu beachten. Reicht aber die Einhaltung dieser allgemein anerkannten Regeln allein, um einer Haftung im Fall eines Sturzes sicher zu entgehen?
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Das Landgericht Bielefeld (Urteil vom 26.10.2016 – 6 O 385/15) hatte über eine Schmerzensgeldklage einer Seniorin nach einem Sturz auf einer öffentlichen Stufenanlage zu entscheiden. Der Sturz ereignete sich auf einem Marktplatz in zentraler Innenstadtlage. Die Anlage bestand aus drei, sich in eine Richtung verjüngenden Stufen. An der Unfallstelle wiesen die beiden oberen Stufen eine Steigung von 11 cm, die unterste Stufe eine Steigung von 4 cm auf. Die geschädigte 79-jährige übersah die unterste Stufe und kam zu Fall. Die auf Schadensersatz verklagte Gebietskörperschaft behauptete, dass die Stufenanlage den einschlägigen DIN-Normen und den anerkannten Regeln der Technik entsprach. Auch sei die unterschiedliche Stufenhöhe für einen normal aufmerksamen Passanten ohne weiteres erkennbar gewesen. Das LG Bielefeld folgte dieser Argumentation nicht und verurteilte die Gebietskörperschaft wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht zur Zahlung von Schmerzensgeld.
War die Kennzeichnung ausreichend oder nicht?
Die letzte Stufe der Treppenanlage ist an der Unfallstelle aus der Draufsicht tatsächlich nur schwer erkennbar. Zwar wurden die Stufen aus einem anderen Granitstein als das Pflaster des Platzes ausgeführt, aufgrund des geringen Kontrastes führte das aber genauso wenig zu einer ausreichenden Erkennbarkeit wie die abweichende Verlegerichtung des Platzpflasters. Hinzu kommt die geringe Steigung der untersten Stufe, was die Erkennbarkeit zusätzlich erschwert. Bei der Bewertung muss berücksichtigt werden, dass es älteren Menschen und Menschen mit Seheinschränkungen schwerer fällt, nur leichte Farbunterschiede zu erkennen. Auch und gerade auf diesen Personenkreis muss die Stadt Rücksicht nehmen. Das Gericht verkennt bei seiner Bewertung auch nicht, dass sich die Stufe bei genauem Hinsehen eines auf das Problem fixierten Betrachters sicher erkennen lässt.
Nach Auffassung des LG Bielefeld stellte die Stufenanlage eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar. Die unterste Stufe sei aufgrund ihrer geringen Stufenhöhe und des geringen Kontrastes nur schwer erkennbar gewesen. Daneben habe berücksichtigt werden müssen, dass die Aufmerksamkeit der Passanten im Bereich eines Markts durch eine Vielzahl von Ablenkungen beeinträchtigt sei. Die Stadt wäre deshalb verpflichtet gewesen, Vorkehrungen gegen das Sturzrisiko zu treffen. Sie traf nach Ansicht des LG Bielefeld auch deshalb ein Verschulden, weil es bereits im Vorfeld zu Stürzen gekommen war und sie trotz Kenntnis hiervon keine Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Fälle ergriffen hatte.
Verkehrssicherung ist immer eine Frage des Einzelfalls
Die Entscheidung des LG Bielefeld zeigt, dass die Anforderungen an die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten stets nach den Gesamtumständen zu beurteilen sind. Der Verantwortliche hat unter Berücksichtigung der von einem durchschnittlichen Passanten zu erwartenden Eigensorgfalt die ihm zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Passanten vor (Rechtsgut-)Verletzungen zu bewahren. Mit der Frage, ob die an der Treppenanlage vorhandenen Stufenmarkierungen mangelhaft waren oder nicht, beschäftigt sich das Gericht ausdrücklich nicht. Es verurteilte die Stadt „nur“ aufgrund der Amtspflichtverletzung in Bezug auf die Verkehrssicherheit. Aber auch eine den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechende Treppe kann ohne weitere Umstände, wie z. B. Eisglätte im Winter, eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle darstellen. Verantwortliche sollten daher immer die Gesamtsituation des Einzelfalls im Auge behalten.
Gestalterische Gründe reichen nicht aus, um eine Zumutbarkeit zu verneinen
Die Stadt hat ihre Verkehrssicherungspflicht nach Meinung des Gerichts auch schuldhaft verletzt. Nach eigener Aussage war das Problem der Erkennbarkeit der Stufen sogar Gegenstand des Abwägungsprozesses im Rahmen der Planung. Man war sich des Problems also durchaus bewusst. Dennoch hat man sich – wahrscheinlich aus gestalterischen Gründen – gegen Maßnahmen zur besseren Erkennbarkeit der Stufen entschlossen. Unerheblich ist dabei auch die Frage, ob der Behindertenbeauftragte der Stadt in die Planungen einbezogen war oder nicht und welche Stellungnahme er eventuell hierzu abgegeben hat. Denn selbst wenn der Behindertenbeauftragte einbezogen gewesen wäre und, wie die Beklagte behauptet, sich gegen taktile Aufmerksamkeitsfelder unmittelbar vor den Treppenstufen ausgesprochen hätte, so würde dieser Umstand die Stadt nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie hätte in jedem Fall erkennen müssen, dass allein die Farbwahl und die Wahl der Verlegerichtung des Pflasters keine ausreichende Erkennbarkeit der Stufen gewährleisten. Im vorliegenden Fall hätte die Stadt die einzelnen Stufen zusätzlich durch kontrastreiche Stufenmarkierungen kennzeichnen müssen. Hätte sich die Stufenanlage hingegen nicht auf einem Marktplatz befunden, wäre sie unter Umständen auch ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen nicht zu beanstanden gewesen.
Das LG Bielefeld betont in seiner Entscheidung, dass die verantwortliche Gebietskörperschaft trotz Kenntnis vorangegangener Unfälle untätig geblieben ist. Verantwortlichen ist daher zu raten, spätestens nach Bekanntwerden von Unfällen weitere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Welche Maßnahmen zumutbar sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Die oft angeführten gestalterischen Gründe reichen aber in der Regel nicht aus, um die Zumutbarkeit zu verneinen.
Hier können Sie die Entscheidung im Detail nachlesen: Landgericht Bielefeld (Urteil vom 26.10.2016 – 6 O 385/15) |
Die Mängelhaftung im Werkvertrag
Einen vergleichbaren Sachverhalt hatte das Oberlandesgericht München (Urteil vom 16.04.2013 – 27 U 219/10) zu entscheiden. Gegenstand war hier jedoch nicht die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, sondern werkvertragliche Mängelansprüche. Bauherr und Bauunternehmer stritten darüber, ob eine Außentreppe mangelhaft war. Deren Podestfläche wies ein Gefälle auf, das das für die Entwässerung erforderliche Mindestgefälle erheblich überschritt. Das OLG München ging zwar in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon aus, dass diese Art der Ausführung weder gegen geltende Unfallverhütungsvorschriften noch gegen DIN-Normen verstieß. Trotzdem war die Treppe nach Auffassung des OLG München mangelhaft, da wegen des stark erhöhten Gefälles sowohl in den Wintermonaten als auch bei Niederschlägen eine erhöhte Rutsch- und Stolpergefahr bestand.
Diese Entscheidung des OLG München steht dabei im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auch ohne vertragliche Vereinbarung schuldet der Auftragnehmer grundsätzlich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Das Werk ist aber nur dann mangelfrei und vertragsgerecht, wenn es die vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion erfüllt. Die Funktion einer Treppe besteht im Wesentlichen darin, einen Höhenunterschied ohne größere Mühen und Risiken zu überwinden. Ist diese Funktion trotz der Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik und der DIN-Normen nicht erfüllt, ist das Werk mangelhaft. Auch für Architekten und Bauunternehmer besteht somit das Risiko einer Haftung, wenn sie sich „blind“ auf die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verlassen.
Schadensersatzansprüche aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtsverletzung und werkvertragliche Mängelrechte haben unterschiedliche Voraussetzungen. Haftet eine Gebietskörperschaft – wie in dem vom LG Bielefeld entschiedenen Fall – aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung, muss dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch die werkvertragliche Leistung des Architekten und/oder des Bauunternehmers mangelhaft war. In den beiden beschriebenen Konstellationen hängt die Haftungsfrage immer von den Gegebenheiten im konkreten Einzelfall ab. Erweist sich eine Treppenlage danach als Stolperfalle, ist eine Haftung in der Regel zu bejahen – und zwar unabhängig davon, ob die Treppe den einschlägigen DIN-Normen und den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht.
Aktuelle Entscheidungen zum barrierefreien Bauen kommentiert unser kostenloser, monatlicher bfb-Newsletter. Gleich anmelden und keine Entscheidung verpassen >> |
Mehr zum Thema Recht und zur Ausführung von Treppen im „Atlas barrierefrei bauen“ >>