Die graue Wohnungsnot?

Drei Bundesministerien, die sich zu einem Maßnahmenpaket zusammenraufen:
Das geschieht nicht alle Tage. Das Thema muss also schon ein ganz Besonderes sein. Mit der Konzertierten Aktion Pflege akzeptierten die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass in Sachen demografische Entwicklung und Pflege dringender Handlungsbedarf besteht.

Fondsanbieter Aviarent hat für den Spezialfonds Carevision IV eine Partnerschaft mit Convivo geschlossen. In deren Rahmen werden in der Projektentwicklung befindliche Senior Living Parks refinanziert (Quelle: Convivo).

Auch der Immobilienwirtschaft bietet die Alterung der Gesellschaft spannende Aufgaben. Das zeigen nicht nur die Unternehmen, die seit Jahren entsprechende Objekte entwickeln oder in Fonds für Investoren bündeln. Im letzten Jahr stieg beispielsweise auch ein Konzern ein, dessen Kerngeschäft eigentlich ein anderes ist: Die Deutsche Wohnen AG erwarb 30 Pflegeheime für insgesamt 680 Millionen Euro und und baute ihr Portfolio damit auf rund 1,5 Milliarden Euro aus. Das Motiv ist einfach: Gute Pflegeimmobilien werden laut dem auf diesen Sektor spezialisierten Unternehmen Terranus für 4,5 bis fünf Prozent Rendite gehandelt. Bei Wohnportfolios steht oft genug nur eine Drei vor dem Komma. Der Gesamtmarkt ist Terranus-Aufsichtsrat Carsten Brinkmann zufolge überschaubar, aber stabil: „Seit Jahren bewegt sich das Transaktionsvolumen für Pflege-Portfolios bei rund anderthalb bis zwei Milliarden Euro, dazu kommen eine halbe bis eine Milliarde Euro an kleineren oder Einzeltransaktionen.

Pflegeheim statt Krankenhaus

Das Angebot an altengerechtem Wohn- und Pflegeraum deckt schon jetzt den Bedarf nicht mehr. Gut fassbar ist dieser Bedarf bislang vor allem im Pflegebereich. Weil die Menschen so lange wie möglich in ihrer Wohnung bleiben, wechseln sie im Schnitt erst mit 82 oder 83 Jahren in ein Pflegeheim oder vergleichbare Einrichtungen. „Diese Menschen sind oft mehrfach krank – früher wären sie in Krankenhäusern versorgt worden“, berichtet Brinkmann. Gut konzipierte und geführte Einrichtungen in gefragteren Lagen sind in der Regel ausgelastet und führen lange Wartelisten.

Die stationäre Pflege ist aber nur eines der Marktsegmente. „Der Bedarf an seniorengerechtem und betreutem Wohnen sowie weiterer Pflege-Wohnformen ist groß und wächst stark“, sagt Jan-Hendrik Jessen. Er ist als Head of Fund Management Operated Properties der Patrizia AG Experte für Gesundheitsimmobilien. Zudem sitzt er dem ZIA-Ausschuss für Gesundheitsimmobilien vor. Dieser Ausschuss wird noch viel zu tun bekommen. Laut Pestel-Instititut gehörten 2017 in Deutschland rund 17,7 Millionen Menschen der Altersgruppe „65+“ an. Zwischen 2035 und 2040 werden die Silberrücken mit 23 bis 24 Millionen Personen ihre Höchstzahl erreichen. Treiber sind die geburtenstarken Jahrgänge, die ab 2025 in Rente gehen, sowie die höhere Lebenserwartung. Die Senioren werden zwar zugleich immer fitter, aber auch das nicht endlos.

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird erheblich zunehmen. Ein breites und lohnendes Feld für Investoren, eigentlich. Nachdem noch vor zehn Jahren Seniorenheime bisweilen schlechte Schlagzeilen verursachten, weil die Betreiber Pleite gingen, hat sich auch von dieser Seite her der Markt konsolidiert und professionalisiert. Das gilt auch für die Investorenseite: Allein die Patrizia Immobilien AG blickt in diesem Sektor auf 17 Jahre Investment-Erfahrung zurück. Allerdings erfordert dieser Spezialsektor einiges an Know-how. Da die größten Risiken potenziell vom Betreiber ausgehen, sollte man sich im Betreiberfeld gut auskennen. Zur selbstverständlichen Marktkenntnis kommt das spezifische Wissen um die regulatorischen Bedingungen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden können.

Investoren würden sicherlich gern mehr Geld in Senioren- und Pflegeimmobilien stecken. Allein, es fehlen die Produkte. „Pro Jahr entstehen nur 150 bis 200 Pflegeheime“, berichtet Carsten Brinkmann. Gemessen am Bedarf der Nutzer müssten es seiner Schätzung nach 300 bis 400 sein. Ein Grund für den Mangel: Was für Senioren und Bedürftige dringend notwendig und für Investoren interessant wäre, ist für die Projektentwickler im Vergleich zum Wohnungsbau nicht lukrativ genug.

Betreuung durch Alexa & Co.

Brinkmann plädiert für einen Verbleib in der eigenen oder gemieteten Wohnung so lange wie möglich – eine Meinung, die er im Übrigen mit dem ZIA-Ausschuss Gesundheitsimmobilien teilt, wenn die Betreuung und Versorgung gewährleistet ist und das soziale Umfeld stimmt. Ansonsten besteht die Gefahr der Vereinsamung und Mangelversorgung. Zusätzliche Pflegeservices aus der näheren Umgebung
verlängern die Zeit, die Senioren in den eigenen vier Wänden bleiben können. Mit Sensorik und künstlicher Intelligenz versehene Sprachsysteme – Vorbilder sind Alexa oder Siri – werden sich laut Brinkmann besonders für Alleinstehende künftig als sehr hilfreich erweisen. Es gibt sogar schon Assistenzroboter wie beispielsweise das Modell „Marvin“ der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Aber auch diese Lösungen stoßen im Wohnungsmarkt auf einen von der Immobilienwirtschaft selbst zu verantwortenden Engpass.
Die boomenden Märkte mit steigenden Grundstücks- und Baukosten und knapper werdenden Kapazitäten führen dazu, dass vorwiegend Mikroapartments mit einer sehr hohen Kaltmiete oder Drei-bis Vier-Zimmer-Wohnungen entstehen. Der Bedarf an bezahlbaren Zwei-bis Drei-Zimmerwohnungen wird vom Markt derzeit nicht gedeckt“, kritisiert Brinkmann.

Tipp: Trendstudie zum barrierefreien und demografiefesten Bauen
Barrierefreien Wohnungen gehört die Zukunft, keine Frage. Verbände und Unternehmen weisen allerdings gern auf die damit verbundenen Mehrkosten hin. Eine Umfrage belegt, dass der zusätzliche Aufwand tatsächlich überschaubar ist. Ein Viertel der Befragten – vorwiegend Architekten und Planer – hält bei vorausschauender Planung eine nahezu kostenneutrale Umsetzung für möglich. Ein weiteres Drittel der Befragten kalkuliert mit Mehrkosten von maximal fünf Prozent.Diese und andere spannenden Befunde, Marktdaten und Informationen zu baulichen Anforderungen und Standards bietet die bfb barrierefrei Trendstudie 2019 „Potenziale und Marktchancen des barrierefreien, demografiefesten Bauens“ >>

Hier sind die Kommunen gefordert. Sie können Baugenehmigungen mit Zweckbindungen versehen und dafür sorgen, dass in Quartieren ein gewisser Anteil an seniorengerechten Wohnungen mit ambulanter
Betreuung entsteht, was nicht mit der „Sozialquote“ gleichzustellen ist. Hilfreich sind zudem Versorgungsstützpunkte im Quartier. Aber auch der beziehungsweise die Gesetzgeber könnten mehr tun.
Jan-Hendrik Jessen plädiert für eine bundesweit gültige Musterbauordnung für Pflegeheime. Zudem bedürfe es verlässlicher Rahmenbedingungen. „Wenn beispielsweise ein Bundesland nachträglich
für bestehende Häuser eine Einbett-Quote von 100 Prozent einführt, besteht die Gefahr, dass diese Häuser mit einem Schlag unrentabel werden.“ Carsten Brinkmann fordert insgesamt weniger „legislative Fesseln
und das Ende der systematischen Trennung von ambulanter und stationärer Pflege: „Es muss durchlässige Übergänge in beide Richtungen geben.“

Quelle: immobilienmanager 8. 2019