
Für barrierefreie Pflegeeinrichtungen verweisen viele Bundesländer auf die „Wohnbau-Norm“ DIN 18040-2. Das führt selten zu einem befriedigenden Ergebnis. TÜV SÜD plant einen Leitfaden, um die Normvorgaben besser auf die Pflege anwenden zu können.
Bau- und Pflegerecht sind Ländersache. Damit wird Barrierefreiheit bislang höchst unterschiedlich gewichtet. Meist soll die DIN 18040-2 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen- Teil 2: Wohnungen“ als Grundlage für die Planung dienen. Die Norm ist allerdings auf den Wohnbau ausgerichtet. Doch das selbständige Wohnen unterscheidet sich deutlich vom assistierten Wohnen in einer Pflegeeinrichtung. Diese ist zugleich Arbeitsplatz für Pflegekräfte. Lebens- und Arbeitswelten treffen aufeinander.
Dennoch kann die Norm unterschiedliche Bedürfnisse abbilden, wenn sie richtig angewendet wird. Zum einen formuliert sie Schutzziele, die in der Umsetzung nicht dem Wortlaut der DIN entsprechend müssen. Zum anderen macht sie deutlich, dass „für Wohnanlagen für spezielle Nutzergruppen […] zusätzliche oder andere Anforderungen notwendig sein können“. Neben den Bedürfnissen der Nutzer ist das Pflegekonzept des jeweiligen Betreibers grundlegend.
Befragung bei Pflegeeinrichtungen
Eine Arbeitsgruppe aus u.a. TÜV SÜD, der Caritas Diözese Würzburg e. V., dem Kreisverband Starnberg des Bayerischen Roten Kreuzes und der Bayerische Architektenkammer hat bayerische Pflegeeinrichtungen ohne abgeschlossenen Demenzwohnbereich zu unterschiedlichen Nutzergruppen und deren Mobilität befragt. Das Ergebnis: Über die Hälfte der Bewohner sind dement. Nahezu 80 % der Bewohner benötigen eine Assistenz oder Hilfsmittel für das Duschen. Aus Sicherheitsgründen sehen die meisten Einrichtungen für das Duschen grundsätzlich eine Assistenz vor.
Von den 37 % Rollstuhlnutzern, sind nur ein Viertel „normenkonforme“ bzw. „mobile“ Rollstuhlnutzer, die ihren Rollstuhl vollumfänglich selbst bedienen können. Die DIN 18040-2 gibt beispielweise für eine uneingeschränkte Rollstuhlnutzung eine Bedienhöhe von 85 cm über dem Fußboden vor. Das bedeutet zwar eine Erleichterung für einige Rollstuhlfahrer. Allerdings profitieren wesentlich nur die, die ihren Rollstuhl weitgehend selbst nutzen können. Zugleich können viele Rollstuhlfahrer auch Höhen zwischen 40 und 140 cm über dem üblichen Bedienbereich nutzen.
Auf der anderen Seite stellt eine Bedienhöhe von 85 cm für Personengruppen wie demente und späterblindete Personen mitunter eine zusätzliche Barriere dar. Für Rollatornutzer, die sich bei dieser Höhe nach vorne unten beugen müssen, steigt die Sturzgefahr. Das baut also Barrieren auf, statt ab. Für Pflegekräfte erschwert das die Arbeitsabläufe und ihr Rücken wird stärker beansprucht.
Auszug aus den Ergebnissen der Befragung:
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Quelle: TÜV SÜD Industrie Service GmbH |
Lösung: Flexible Zimmer
Derzeit sind in den meisten Bundesländern (Beispiel: Bayern) sowohl barrierefreie wie auch Zimmer mit R-Anforderungen gefordert. Es kann zu Fehlbelegungen kommen, wenn nicht genügend oder zu viele Rollstuhlnutzer vorhanden sind. Wenn z. B. ein Bewohner mit Demenz in ein R-Zimmer soll, stellen die für den Rollstuhlfahrer optimierten Bedienhöhen eine Barriere dar. Üblicherweise soll es in Pflegeeinrichtungen so sein, dass der Bewohner nur einmal in ein Zimmer zieht und nicht wieder umziehen muss.
Vorschlag: ein „flexibles“ Zimmer, das für die gesamte Bewohnerstruktur einer Pflegeeinrichtung nutzbar ist und die Bedürfnisse unterschiedlicher Bewohner berücksichtigt. Durch Ergänzung von mobilen Hilfsmitteln und/oder die Berücksichtigung einer üblichen Assistenz durch Pflegekräfte kann jeder Bewohner so ein Zimmer nutzen. Das ist beim Wohnen hingegen, so wie es die Norm darstellt, nicht vorgesehen – in einer Pflegeeinrichtung allerdings üblich.
Der Weg dorthin wäre ein Leitfaden zum Normentransfer auf Schutzzielbasis. TÜV SÜD plant diesen derzeit mit den an der Befragung beteiligten Partnern.
Autor: Klaus Helzel, Fachgruppenleiter „Barrierefreiheit“ bei TÜV SÜD Industrie Service GmbH www.tuev-sued.de/is