Barrierefrei in die Offizin?

Jede Apotheke lebt von ihrer Kundschaft. Dazu gehören aber auch viele Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind. Daher stellt sich die Frage: Wieviel „Barrierefreiheit“ braucht eigentlich eine Apotheke?

Der Begriff „Barrierefreiheit“ ist in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sowie der darauf aufbauenden landesrechtlichen Gesetzgebung definiert. In Bezug auf bauliche Anlagen stellt die Begriffsdefinition auf drei wesentliche Eigenschaften ab. In Kurzform: Bauliche Anlagen müssen für jeden auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Eingeschränkt wird dieser Grundsatz durch den Zusatz „ohne besondere Erschwernis“. Das heißt, prinzipiell können durchaus Erschwernisse auftreten, welche unter bestimmten Bedingungen in Kauf genommen werden müssen.  Spezielle „Behinderteneingänge“ sind jedoch ausgeschlossen, da diese nicht gleichbehandelnd bzw. diskriminierend sind.

Gibt es gesetzliche Anforderungen?

Beispiel einer Treppe auf der Innenseite der Offizin - nicht barrierefrei
Beispiel einer nicht-barrierefrei zugänglichen Offizin – Treppe hinter dem Eingang im Inneren der Apotheke

Seit 2012 heißt es in § 4 Absatz 2a der Apothekenbetriebsordnung: „Die Offizin muss einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben und soll barrierefrei erreichbar sein. …“.
Eine weitere Verständnishilfe gibt es für diese „Muss“-Anforderung in der Betriebsordnung nicht. Hilfestellung bieten die landesbauordnungsrechtlichen Vorgaben für öffentlich zugängliche Gebäuden – was letztlich jede Apotheke ist – sowie die Technischen Baubestimmungen und die DIN 18040-1:2010-10 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude“. Beachtet werden muss, dass das Bauordnungsrecht von Bundesland zu Bundesland variiert. Mehr Infos zu den bauordnungsrechtlichen Vorgaben der jeweiligen Bundesländer sowie den Volltext der DIN 18040 finden Sie hier!

Zusätzlich muss zwischen den Besucher- und Benutzerverkehr (= Publikumsverkehr) dienenden Bereichen und der Arbeitsstätte (z. B. Labor, Büro etc.) unterschieden werden. Für Letztere gilt das Arbeitsstättenrecht und nicht das Bauordnungsrecht.

Begriffsdefinition: Eine Offizin ist ursprünglich die „Werkstatt des Apothekers“. Heute ist damit in der Regel der Verkaufsraum der Apotheke gemeint.

Wie kann die Barrierefreiheit hergestellt werden?

In der Praxis stellt ein barrierefreier Zugang zur Apotheke den Besitzer häufig vor erhebliche Herausforderungen. Oft befindet sich die Apotheke inkl. Offizin in Bestandsgebäuden, welche mitunter schon 100 Jahre alt sind. Schwellenfreie und damit barrierefreie Zugänge gibt es bei solchen Gebäuden in der Regel nicht. Denn den wirkungsvollsten Witterungsschutz stellten früher Stufen oder Schwellen dar. Erschwerend kommt hinzu, dass Apotheken häufig unmittelbar von der Grundstücksgrenze aus zugänglich sind; beispielsweise bei einer innenstädtischen Lage, wo die Gebäude direkt an den Gehweg angrenzen. Meist tritt die Frage nach der Barrierfreiheit dann auf, wenn die Apotheke an die nächste Betreibergeneration übergeben wid und ohnehin Modernisierungsmaßnahmen anstehen, denn auch Bestandsapotheken unterliegen einer Nachrüstungspflicht.

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Oft kann ein bestehender Höhenunterschied zwischen Straße und Offizin barrierefrei nur mittels eines Aufzugs, eines Lifts oder einer Rampe überwunden werden. Die Konstruktion kann im Idealfall auf dem Grundstück der Apotheke selbst hergestellt werden, andernfalls muss sie – sofern hierzu eine Erlaubnis erteilt wird – im Bereich der öffentlichen Verkehrsfläche (Gehweg) positioniert werden.

Bauliche Anforderung an barrierfreie Rampen

In jedem Fall sind die normativen Vorgaben zum Barrierefreien Bauen zu berücksichtigen. So müssen beispielsweise die für Rampen notwendigen Voraussetzungen erfüllt werden:

  • Ein Rampe darf maximal eine Neigung von 6 % aufweisen.
  • Die maximal Länge einer Rampe ist – ohne Zwischenpodest – auf 6 Meter begrenzt.
  • Mit einem Zwischenpodest von 1,5 m Länge ist eine Verlängerung der Rampe um 6 m möglich.
  • An einer barrierefreien Rampe sind Radabweiser und beidseitig Handläufe vorzusehen, auch wenn die Rampe an eine Hauswand anschließt.
  • Die Mindestlaufbreite, d. h. die lichte Breite zwischen den Innenseiten der Handläufe, beträgt 1,20 m.
  • Vor und am Ende einer Rampe ist eine Bewegungsfläche von ≥ 1,50 (Breite) x 1,50 m (Tiefe) vorzusehen.

Anforderungen an barrierefreier Rampen (Quelle: Atlas barrierefrei bauen)
Barrierefrei durch Angleichung des Gehwegs: Die Stufe ist kontrastierend, also optisch gut erkennbar, in den Umgebungsbelag eingepasst worden, was die Stolpergefaht deutlich reduziert.

Ist nur ein geringer Höhenunterschied zu überwinden, kommt auch eine Angleichung des Gehwegs in Betracht. In der Apothekenbetriebsordnung ist ausdrücklich die barrierefreie, nicht nur die stufen- und schwellenfreie Zugänglichkeit gefordert. Daher ist auch der Eingangsbereich – also die Eingangstür selbst und der Bereich unmittelbar davor – barrierefrei zu gestalten. Dazu gehört eine ausreichende Beleuchtung, eine kontrastierende Gestaltung der Tür- und Bedienelemente sowie eine barrierefrei nutzbare Klingel- und ggf. Briefkastenanlage. In jedem Fall sind ausreichende Bewegungsflächen vor der Eingangstür und vor den Bedienelementen vorzusehen.

Fazit

Die Anforderungen nach einer barrierefreien Zugänglichkeit der Offizin nach § 4 Abs. 2a ApBetrO stellen in der Praxis für Apotheker eine erhebliche Herausforderung dar. Letztlich sind die Anforderungen jedoch als Zukunftschance zu sehen, denn eine barrierefreie Zugänglichkeit ist Vorraussetzung dafür, eine ältere werdende Kundschaft zu halten und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neue Kunden zu gewinnen. Denn letztlich endet die medizinische Beratung und Betreuung nicht beim Arzt, sondern in der Regel in der Apotheke vor Ort.

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Autor: Lutz Engelhardt